Text: Kai-Uwe Ulrich
Fotos: Ute Zörb-Langen und Kai-Uwe Ulrich
Trotz „Pandekratie“ (Corona-Regelmonster) gelang Mitte Januar (13.-16.01.2022) eine grenzüberschreitende Schneeschuhtour im Riesengebirge entlang des Grenzkamms von Polen und Tschechien. Sven und Mario organisierten und führten diese in bewährter Weise. Die 9 Teilnehmer:innen sind begeistert, manche wollen schon für den nächsten Winter buchen. Was ist das Erfolgsrezept?
Meine letzte Schneeschuhtour mit dem Paar liegt satte vier Jahre zurück. Was auch diesmal meine Erwartungen übertrifft, sind das Kaiserwetter, die königliche Unterkunft im Hotel in Karpacz, dem Ausgangsort, und die perfekte Organisation – noch dazu in Pandemiezeiten. Die Natur verzaubert mit Rauhreif, funkelnden Kristallen, Lichteffekten und Farbenspiel.
Empfang im Hotel in Karpacz: Kennenlernen, Lagebesprechung (Wie lange ausschlafen?) und Genießen - einschließlich dem fürstlichen Frühstücksbuffet
Von Freitag an mausert sich das Wetter von stürmisch-regnerisch über mystisches Nebelgewaber zu wohltemperierter Heiterkeit mit Sonne pur, Windstille auf dem Gipfel, und wohltuender Milde – jahreszeitlich ist es viel zu warm. Okay, bei der Schneehöhe gibt es etwas Punktabzug. Meine Schneeschuhe jubilieren ob der fantastischen Aussicht, die sie hinterrücks von meinem Rucksack aus genießen dürfen, aber sie knirschen und jaulen, wenn ich sie als Steigeisen missbrauche. Bei den nächsten Touren kommen Grödel auf die Packliste, verspricht uns Sven.
Beim Aufstieg über Budniki nach Mala Upa blinzelt kurz die Sonne ins Gesicht - um uns dann am Tafelberg Skalny Stoł (1.282 m) mit Regen & Sturm zu vertreiben
Die Jelenka-Baude (1.263 m) erreichen wir am Freitag-Nachmittag im Nebel
Denn der Abstieg von der Jelenka zurück nach Karpacz hat es in sich: der Steig ist fast komplett vereist, wir balancieren über die wenigen eisfreien Mosaike immer mit dem flauen Gefühl, dass die Haftreibung ungenügend sein könnte. Und so manche Beine reißt es nieder auf's Eis. Doch davor entschädigt die Schneekoppe für jede Strapaze – weit streift der Blick über den Kamm des Riesengebirges, in westliche wie in östliche Richtung. Im Norden schwebt ein Wolkenteppich, grenzenlos wie bei Reinhard Mey.
Nach einer Traverse durch den Latschengürtel vom Märchenland beginnt der Aufstieg zur Schneekoppe
Dieter setzt ein spannendes Fotomotiv in Szene - was aber haben die Schatten zu bedeuten?
Genau! Am Grenzkamm treffen wir tatsächlich auf Rübezahl !!
Rübezahl’s Gipfel zieht die Massen magisch an, der steile, ebenfalls vereiste Kettenweg zum Schlesierhaus verwandelt sich in eine bunte Menschenkette. Bei unserem Abstieg kommen uns Dutzende Hartgesottene mit kurzer Hose und freiem Oberkörper, bestenfalls mit Bikini und Pudelmütze, entgegen – offenbar eine organisierte Freikörper-Challenge. Während unsere Truppe schon beim nächsten Bier in der Wiesenbaude den Gipfelschnaps verdaut, können Ute und ich uns gar nicht sattsehen an dem Sonnenhalo um den Schatten der Gipfelbaude, der sich auf der Wolkendecke abzeichnet, an den glitzernden Rauhreiffahnen an den Ketten, Wegweisern und Latschenbüschen. Dazu schwebende Nebel und bunte Tupfer entlang der Stangenwege.
Auf der Schneekoppe (1.603 m) macht ein Gipfelschnaps die Runde – höher soll er leben, der edle Spender!
Harsch, Eis und Rauhreif schmücken den Kettenweg beim Abstieg von der Koppe
Ein farbenreicher Nebel-Halo begleitet unseren Abstieg zum Schlesierhaus
Wer genau hinschaut und einen Farbkasten bereithält, mag den angedeuteten Doppel-Halo weiter ausmalen
Ein Motiv - zwei Gestaltungsideen: Die Perlenschnur zum Gipfel rückblickend vom Weiterweg zur Wiesenbaude
Gestärkt stiefeln wir den Stangenweg zurück über’s Schlesierhaus zur Jelenka
Ein stiller Moment von Freiheit mit Mond und Halo über dem Wolkenmeer
Zurück an der Jelenka-Baude empfängt uns die „blaue Stunde“
Zwei Abende verbringen wir auf der Jelenka-Baude auf tschechischer Seite des Grenzkamms, wo nur wenige andere Gäste übernachten. Von Pandemie ist hier nichts zu spüren. Die wird rein digital verwaltet. Zum Glück gibt es Bier und Gulasch (am zweiten Abend sogar geklopfte Schnitzel!) noch analog aus der Küche. Ute’s Wunsch nach Vegetarischem avanciert zum Glücksspiel mit ungewissem Ausgang. Anstatt zu pokern klopfen wir lieber Skat, oder bei Rommé. Wenn es scheppert, dann vom Tresen, da der Kellner nur mit Bier durch den Tag wandelt... Was er dann in die Hüttenkasse tippt, bleibt sein Geheimnis, bis wir am letzten Morgen die Sammelrechnung begleichen sollen. Da wird die Logik klar: Wer mehr als 4 Bier konsumiert hat, kann unmöglich weiter als bis zur Hälfte zählen...
Was drinnen vor sich geht, sollten wir nicht thematisieren... [Zu Ehrenrettung sei bemerkt, dass der Wirt um 21 Uhr den Tresen verriegelte, deshalb die Bevorratung]
Egal, ob die Abrechnung über eine Stunde dauert, wir genießen den Aufenthalt, die nächtliche Waldarbeit (sägen, sägen brumm-brumm-bumm), den hellen Mond, den Sonnenaufgang und die „blaue Stunde“ am Samstagabend. Spielen viel Skat und Rommé, lachen über dünne Witze mit langen Bärten. Die Feedback-Runde zeigt: es gefällt, man will es wieder – fürstlich frühstücken, rustikal dinnieren, schnäpseln und schwatzen, ausschlafen und zwischendurch mal – ganz gemütlich – Schneeschuhe über’n Kamm tragen.
Herrlicher Sonnenschein auch am Sonntag versüßt unseren Abstieg nach Karpacz